Winkelhaken, Punkt und Konkordanz – vom Online-Satz zum Buchsetzer

25. August 2017, Typografie

Die Entwicklung von Webseiten ist eine meiner Haupttätigkeitsfelder. Sind die Projekte beendet, habe ich Zeit in die Historie zurück zu schauen: Wie funktionierte die Typografie, die Gestaltung und der Textsatz vor den Zeiten des Internets?

Buchsatz für Onlinegestalter

Im Museum für Druckkunst Leipzig lerne ich nun regelmäßig und in enger Betreuung durch einen ehemaligen Buchdrucker den Handsatz. Das wichtigste Instrument ist, statt einer Tastatur, der Winkelhaken. In diesen werden die Lettern (Buchstaben) spiegelverkehrt gesetzt. Vor mir steht ein, mitunter sehr schwerer, Setzkasten mit den sortierten Lettern und ein Übersichtsplan. Die wichtigsten Buchstaben e, n und m (ein Foto fand ich auf wikipedia) liegen direkt vor mir und sind schnell zu greifen. Je kleiner die Schrift, desto genauer muss ich auf sie schauen, sie mit dem Daumen festhalten, damit sie nicht kippen. Vom Winkelhaken werden die Zeilen auf das Satzbrett übertragen, die gesetzten Zeilen sind festzuhalten, damit kein Buchstabensalat entsteht. Den arrangierten Text habe ich andrucken lassen, konntrolliert und verändert.

Mein Tag im Museum für Druckkunst ist sehr kurzweilig, zwischen den Arbeitsschritten erklärt mir der Buchdrucker die wichtigsten Instrumente und Maßeinheiten. Eine dieser typografischen Maße ist die Konkordanz: Die Konkordanz entspricht 48 Punkte, dies entspricht 4 Cicero, ein Cicero entspricht 12 Punkten, ein Punkt misst 0,3759 mm.

Fotos von meinem ersten Tag im Museum für Druckkunst Leipzig:

Andruck nach Handsatz Satzkasten Buchdruck Setzkasten und Letterplan

Was ist nun der Unterschied:

Ich empfinde das Handsetzen als eine meditative Art des Arbeitens, zugleich ist dieses Setzen eine sehr intensive Auseinandersetzung mit Schrift, Gestaltung und Proportionen. Eine Schrift in 6 Punkt erfordert eine innere Ruhe beim Arbeiten, der Setzkasten mit seinem Gewicht eine gute Konstitution.

Im Gegensatz zu meiner Arbeit als Webdesignerin an meinem Computerarbeitsplatz werden meine Hände beim Buchdruck dreckig, ich stehe ausschließlich und bewege mich mehr, das dürfte jeden Physiotherpeuten erfreuen. Das Arbeiten mit dem Buchdruck ist ein haptisches Erlebnis und die Ergebnisse, gedruckt auf gutem Papier, sind fühl- und sichtbare Handwerkskunst.

Annett Riechert
{ webdesign :: typografie :: poster }
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