Raster, Brill und Spationierung: 320 Stunden Typografie Intensiv
16. September 2015, Typografie
Mein Weg zur Typografie: Ein Rückblick
Als ich im Herbst des vorletzten Jahres nach einer Weiterbildung recherchierte, kam ich über die tgm (Typographische Gesellschaft München e.V.) zu dem Angebot von Rudolf Paulus Gorbach. Sein zweijähriges Seminar Typografie Intensiv schrieb alle Leistungen aus, die ich gern wiederholt und neu gelernt hätte (und nun, zwei Jahre später, glaube gelernt zu haben).
Gestaltung und Typografie
Mit einiger Verzögerung fuhr ich regelmäßig die 440 km nach Germering, um mich der Faszination von Gestaltung und Typografie zu widmen, interessante Kollegen und die bayrische Kultur kennen zu lernen. Die ersten Seminartermine führten tief in die Mikro- und Makrotypografie, den Seitenaufbau und Visualisierung ein. Erste symmetrische und asymmetrische Arbeiten entstanden, geometrische Formen wurden komponiert, Zeitschriften analysiert und jede Hausaufgabe in der Gruppe durchgesprochen (und meist zur Korrektur empfohlen: aus Fehlern lernen, war DIE Grundkompetenz). Raster, Zeilenabstand und Format verlangten nicht nur einen Sinn für Ästhetik, erforderlich war auch die Neigung zur Mathematik.
Unterlegt mit den Theorien von Tschichold, Fibonacci und Le Corbusier entstanden Plakate, CD-Hüllen und -Booklets, Anzeigen, Text-Bildbücher, Corporate Designs und Fachzeitschriften (diese Aufzählung ist nicht vollständig).
Im heimatlichen Arbeitszimmer stellte ich die aufwendigen Hausarbeiten her, in meinem Zertifikat werden diesen 260 Stunden zu geschrieben, ich kann beteuern: Es waren sicher doppelt so viel. Zwischen Kleber und Tastatur verbrachte ich viele Nachmittage und Wochenenden. Bücherberge lagen unter meinem Schreibtisch, erwähnen möchte ich die Detailtypografie von Friedrich Forssman und Ralf de Jong, das Buch Karl Gerstner, Hrsg. Manfred Kröplien, und die zwei wunderbaren Bücher Die Aktivität des Lesens von Stephanie Kaplan und Read/ability von Jan Filek.
Der absolute Höhepunkt der nebenberuflichen Weiterbildung war wohl für alle Teilnehmer die Erstellung einer Abschlussarbeit in Form einer Studie.
Das kleine G – eine experimentelle Studie
Ich entschied mich für die Untersuchung eines Buchstabens. Das kleine G hatte mich gefangen genommen. Ich untersuchte die Bedeutung des kleinen G in der Historie und der Linguistik, befasste mich dem Klang und der Schwingung im Körper, analysierte die Formenvielfalt und die Stellung innerhalb des Alphabets und im Satz. Die Fragestellung, ob die Form dieses kleinen Buchstabens zur Auswahl einer Schrift genügen würde, untersuchte ich mit einer Testreihe. Am Ende entstand eine handliche Broschüre im Format 180×210 mit sechsundsechzig Seiten. Als Textschrift verwendete ich die Museo Sans, die Auszeichnung des Buchstabens G mit der Brill.
Ein Ausblick
Die Ausschreibung Typografie Intensiv kann sehr ernst genommen werden. Es war für mich eine sehr intensive Zeit. Das Seminar sensibilisierte mich für viele Bereiche der Gestaltung und Historie, so das ich immer noch am abarbeiten (oder eher ablesen) einer langen Bücherliste bin.
Die Teilnehmer meines Jahrgangs kamen aus verschiedenen Bundesländern, der größte Teil aus dem Großraum München. Beruflich verorteten sich die Teilnehmer meines Jahrgangs in den Bereichen Web und Grafik, Lektorat, Ghostwriting, Coaches und Lehrende.
Wer nicht die zeitlichen Möglichkeiten für diese intensive Weiterbildung hat, kann das Buch Typografie Intensiv von Rudolf Paulus Gorbach, herausgegeben vom August Dreesbach Verlag, studieren.
Tschichold und Leipzig
Mit seinen berühmten Büchern fand der Leipziger Typograph Jan Tschichold in jedes Zimmer eines wohlinformierten Gestalters. Als Neu-Leipzigerin entschied ich mich, eine der Schriften von Tschichold zur Gestaltung meiner Akzidenzen zu verwenden: Die kursive Sabon sprach mich besonders an. Abgegrenzt zu den heute üblichen klar strukturierten Groteskschriften und (wie ich heute weiß) meiner typografischen DDR-Prägung, gefiel mir der sichtbare Federzug, der strenge Schwung und die feine Ausarbeitung der einzelnen Buchstaben.
Raster, Brill und Spationierung
Raster: Eine klare Struktur wird für komplizierte und kleinteilige Drucksachen, ebenso für die Konzipierung einer Webseite, entwickelt.
Brill: Eine Schrift aus dem Hause TiroTypeworks von John Hudson. Sie wurde für wissenschaftliche Publikationen entworfen.
Spationierung: Abstände zwischen den Buchstaben werden vergrößert (Nur mit größter Sorgfalt anzuwenden).
Linkliste
tgm: www.tgm-online.de
Rudolf Paulus Gorbach: www.gorbach-gestaltung.de
Beitrag über Jan Tschichold: wikipedia.org
Schriften finden: MyFonts, Linotype, außerdem die zahlreichen Angebote der Schriftgestalter