Buchdruck am Oppenweher Moor – Drucken und Kraniche schauen

11. September 2025, Typografie

Meine letzte typografische Reise innerhalb des Walz-Programms des Vereins für die Schwarze Kunst verbrachte ich in der Region des Oppenweher Moors. Diese Kulturlandschaft ist bekannt für die Rastplätze der Kraniche. Um die scheuen Zugvögel zu beobachten, fuhr ich jeden freien Abend an verschiedene Stellen. Pünktlich zur Dämmerung flogen die Kraniche in der typischen Formation zu ihren Schlafplätzen. Nach dem verklingen des tröttenden Gesangs der ebenso ziehenden Gänse, fuhr ich in mein Tinyhaus und zündet schnell ein Feuer im Ofen an. Die ersten Märztage gab es sternenklare und frostige Nächte.

Tinyhaus in Stemwede

Meine Tage verbrachte ich von 11 bis 19 Uhr in Oppenwehe. In der Buchdruckwerkstatt Fork-and-Broom-Press arbeitete ich weiter an meiner Sammlung von kleinen Buchstaben g. Die in der Dohnaer Buchdruckerei gesetzte Belwe-Antiqua (dazu im nächsten Absatz mehr) druckte ich. Außerdem fand ich interessante Schriften, die ich ebenfalls setzte und druckte. Mein zweites Projekt hatte ich aufgrund der Länge meines Aufenthaltes gewählt: Ein Lyrikband mit einer typografischen Interpretation des Gedichts Poëma naturale von Róža Domašcyna.

Die Belwe-Antiqua war mir in Ljubljana als Adrija aufgefallen. Diese Jugendstil-Schrift hat ein sehr eigenwilliges Fähnchen an den Buchstaben V, v, W und w. Was mich besonders faszinierte, war die extrem kurze Schleife des kleinen g. Diese wirkte wie herangezogen um die Unterlängen und vielleicht auch Linienhaltigkeit des Satzes nicht zu beeinflußen. Um genaueres zur Herkunft und zum Designer zu erfahren, recherchierte ich in der Deutschen Nationalbibliothek und in einem Typografieforum. Überraschender Weise fand ich viele Belege zu einer Belwe-Antiqua. Durch die freundliche Unterstützung von Dan Reynolds bestätigte sich diese Zuordnung. Im Archiv des Klingspor-Museums suchte ich mir die Kartei zur Anmeldung der Schriftlizenz heraus. Die Belwe-Atniqua wurde im Jahr 1913 eingetragen, verlegt von der Schriftgießerei J. G. Schelter und Giesecke Schriftgießerei Leipzig. Georg Belwe hatte in seinem späteren Leben eine Professur an der Königliche Kunstakademie und Kunstgewerbeschule Leipzig (heute Hochschule für Grafik- und Buchkunst) inne.

Da ich die Adrija in Ljubljana, in der Werkstatt tipoRenesansa belassen hatte, nahm ich Kontakt mit Marco auf. Durch glückliche Umstände konnte er mir den Kasten, dieser nun zur Belwe-Antiqua gewordenen Schrift, im Verein DruckZeug in Graz übergeben. Zeitgleich erlebte ich mit einer meiner Töchter dort einen wunderbaren Adventsbasar. Wir hatten diesen Termin mit einer Erkundung von Graz verbunden. Die Schrift schickte ich dann nach dem Drucken in Oppenwehe auf selbigen Wege, wieder mit verbundenem Stadtausflug (allerdings ihne mich), zurück nach Ljubljana.

Danke-danke-danke an Marco, Anna und Wolfgang – alle Mitglieder des Vereins für die Schwarze Kunst und natürlich an meine Tochter!

Druckbogen zum Memory Kleines g Andruckpresse mit Satz Memory zum kleinen g

Meine Zeit in der Buchdruckwerkstatt beendete ich vorzeitig, da abzusehen war, dass ich die Arbeiten dort nicht fertigstellen konnte. Offen blieben so die typografische Illustration, der Materialdruck und das Cover. Die letzten Stunden verbrachte ich mit dem Ablegen der genutzten Schriften. Eine Arbeit, die ich aufgrund ihrer Intensität gern ausführe. Das Ablegen trainiert sehr gut für das intuitive Setzen.

Poema naturale – Setzkasten der Schrift Vendome Fertiger Satz für lyrischen Band

Trotz allem war die Zeit in der Werkstatt eine gute Erfahrung für mich. Die Organisation der von mir besuchten Werkstätten, die Arbeitsabläufe und „geheimen“ Tricks bilden eine gute Grundlage für meine aktuelle, eherenamtliche Arbeit im Museum für Druckkunst in Leipzig.

Besonders erwähnen möchte ich mein Quartier während dieser Walzstation. Das Tinyhaus auf dem Grundstück von Katinka und Gerd war ein wunderbarer und inspirierender Rückzugsort. Während meiner Zeit dort nistete direkt hinter „meinem Wagen“ ein Storchenpaar und die Beiden klapperten mich so manches Mal in den Morgen.

Linkliste

Verein für die Schwarze Kunst
Fork-and-Broom-Press
Tinyhaus in Stemwede

Meine Beiträge zur den vorherigen vier Walz-Stationen

Dresden: Grafikwerkstatt
Stralsund: Spielkartenfabrik
Ljubljana: tipoRenesansa
Bischofszell: Typorama

Atelier für analoge
und digitale Gestaltung
Tel. +49 341 3928 1093
annett.riechert@­tausendeins.de
Annett Riechert
Scharnhorststr. 38
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Deutschland