Drei Fachkonferenzen im Mai: Leipziger Typotage, Berlin Letters und Walbaum-Wochenende in Weimar
27. Mai 2019, Typografie
Meine erste Mai-Konferenz: Die Leipziger Typotage
Diese nun schon zum fünfundzwanzigsten Mal stattfindende Konferenz gehörte natürlich fest in meine Mai-Agenda. Ich möchte nur die mich ganz besonders beeindruckenden Vorträge ansprechen.
Der erste Referent Andreas Weber [1] sprach über »Schrift als Bild«. Sein Vortrag war ein gelungener Einstieg in den Konferenztag. Er sprach über die großen Zusammenhänge im Kleinen, vom Spaß an der Gestaltungsarbeit, dem Austausch von Standpunkten und der Notwendigkeit Haltung zu zeigen. Andreas Weber ist ein Business-Coach. Für mich bildete sein fachlicher Vortrag eine motivierende Melange: »Es geht nicht um digital und analog, es geht um alles – eine ganzheitliche Welt.«
Inga Plönnings [2] stellte ihre Schrift mit dem Namen Messer vor. Sie hielt sich streng an die Vorgaben des Schriftgestalters Emil-Rudolf Weiß, und schaffte doch eine eigene digitale Interpretation. Eine Besonderheit dieser Schrift ist das proportional umgedreht erscheinende S.
Mein absoluter Vortragsfavorit war »Roßberg – modular und variabel« von Petra Rüth [3]. Die Schriftdesignerin setzte sich mit dem Werk von Christian Gottlob Roßberg auseinander und das mit solch einer Konsequenz und Intensität, die mich sehr beeindruckt hat. Zum Beispiel verwendete sie das Programm Auto-Cad, ein für Schriftdesigner untypisches, aber durchaus gut einsetzbares Programm, wie sie anhand ihrer Arbeiten zeigte. Und: Sie ließ sich ein Messer zum Schneiden der Gänsefedern anfertigen, um den Original-Duktus der Roßbergschen Schreiberei nach empfinden zu können. Chapeau!
[1] stanhema.com
[2] ingaploennigs.com
[3] manufraktur.petrarueth.de
Die Zweite und trotzdem unser erstes Mal: Berlin Letters
Auf Berlin Letters bin ich durch die Lettering-Workshops in der Pavillon-Presse aufmerksam geworden. Von dort kannte ich Ulrike Rausch und freute mich auf die von ihr mitorganisierte Konferenz in Berlin.
Ganz im Sinne der dekorativen Schriften hatte ich für die Vormittagszeit den Workshop »Lettering at the kitchen: recipes for letter variation and layout« mit Ivan Castro [4] gebucht. Die drei Stunden waren für mich viel zu kurz, mein entstandener Tapas-Schriftzug wirkt noch nicht einladend, ich werde es weiter bearbeiten und in einem späteren Blog-Beitrag die Ergebnisse vorstellen.
Am Nachmittag fanden die Vorträge statt. Diese Zweiteilung der Konferenztage ist eine gute Idee! Erst die Arbeit – dann das Vortragsvergnügen:
Die Schriftdesignerin Gayane Yerkanyan [5] begeisterte mich mit ihrem funktionalen und so digital-animierbaren Alphabet. Ihre Lust am abstrahieren und spielen mit dem Medium Schrift schafften wunderbar anregende Blicke in die Möglichkeiten von Schrift als gestalt- und verwandelbarer Graph, fernab von dem Zwang sie lesen zu müssen.
Der Vortrag von dem Schriftgestalter und Spaziergänger Fritz Grögel [6] erinnerte mich an meine Zeit in Lyon. Ich war damals fasziniert von der dortigen kreativen Plakatkunst und der freundlichen Lässigkeit der Beschilderung des öffentlichen Raums. Fritz Grögel nahm uns in seinem Vortrag mit in den französischen und deutschen Raum der Schildermalerei und Plakatkultur. In einem geschichtlichen Exkurs führte er in die gängigen Schriften der 1850er bis 1950er ein. Er empfahl uns zudem das Video über Wiens Schildermaler-Familie Samuel, anzuschauen bei https://okto.tv/de/oktothek/episode/21659.
[4] Ivan Castro
[5] Gayane Yerkanyan
[6] www.fritzgroegel.net
Die dritte Konferenz: Das Walbaum-Wochenende in Weimar
Das Bauhaus hält Weimar in Atem, zu spüren war das bereits bei meiner Anreise mit der Bahn. Überraschend leer war dann das neueröffnete Bauhaus-Museum (Mich beeindruckten besonders die ausgestellten Keramiken). Zu einer differenzierten Betrachtung des Bauhauses bzw. der Geschichtsschreibung über selbiges lud das Team der Pavillon-Presse ein.
Dan Reynolds [7] überzeugte mich mit seiner emanzipierten Idee der Urheberschaft. Sein Vortrag führte in die großherzogliche Zeit (1871-1914). Den Stempelschneidern, die das Handwerk des Schriftenschneidens ausübten, möchte er zur Anerkennung ihrer künstlerischen Leistung verhelfen. Die an der Entwicklung einer Schrift Beteiligten sollten benannt werden, wie es heute selbstverständlich ist. Dieses Thema zeigt er am Beispiel der Midoline auf. Dazu schreibt Dan Reynolds ausführlich in seinem Blog TypeOff.de.
Die Dekonstruktion der Bauhaus-Schrift! War dies wirklich eine Dekonstruktion? In seinem Vortrag verwies Ralf Herrmann [8] auf das völlige Fehlen einer Bauhaus-Schrift. Die von vielen als solche benutzte, ist eine vom Schrifthaus ITC in den 1970ern lizensierte. Ralf Herrmann benannte zahlreiche Satzentwürfe aus der Bauhaus-Zeit und verwies auf die fehlende Umsetzung dieser. Nicht unerwähnt lassen möchte ich das von der Pavillon-Presse nachgesetzte Bauhaus-Manifest. Es sieht fantastisch aus! Die verwendete Schrift analysierte Ralf Herrmann zuvor und konnte auch hier einen Fehler in der typografischen Geschichtsschreibung berichtigen. Nicht die Schrift Ohio der Dresdner Firma Butter wurden für den Satz des Bauhaus-Manifest benutzt, sondern die Schrift Pabst, die ihre Urheberschaft in den USA hatte (siehe den Post auf https://www.typografie.info/3/Schriften/fonts.html/pabst-oldstyle-r1108/).
Am zweiten Tag des Walbaum-Wochenendes fand traditionell ein Workshop statt. An diesem nahmen siebzehn Personen teil, was den Entstehungsprozeß eines gemeinsamen Entwurfs verlängerte, aber schließlich doch ein ansehnliches Ergebnis entstand. Im Sinne von Bauhaus und dem Buchsetzer-Handwerk:
[7] Dan Reynolds
[8] Ralf Herrmann
Drei Wochenenden in drei Städten
Für mich als selbstständige Gestalterin ist es eine schöne Notwendigkeit in die Vielfalt des Wissens rund um Schrift und Kreativität einzutauchen. Dabei die Städte zu besuchen, mit denen ich auch persönlich verbunden bin, ist um so angenehmer und anregend für mein Verständnis von Geschichte und Gegenwart. Auf allen drei Konferenzen hörte ich Beiträge, die ich bereits aus den Jahren zuvor kannte. Ich betrachte es als Auffrischung und verfolge spannend die Entwicklungen der Vortragenden. Ich habe sehr viele Notizen mitgebracht, Kontakte geknüpft und auch über mein Buch »Das kleine g« gesprochen, hier ein besonderer Dank an Ulrike Rausch für die tolle Anmoderation!